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Blickkontakt halten

Autorenbild: Christina SchöfflerChristina Schöffler

Was macht es mit uns, wenn es kaum mehr Alltagsbegegnungen gibt, fragt sich Christina Schöffler. Dabei sehnen wir uns doch alle danach, gesehen zu werden.


Als ich vor kurzem in meinen gewohnten Supermarkt ging und zur Kasse kam, rieb ich mir erstaunt die Augen: Wo bisher freundliche Mitarbeiterinnen saßen, waren nun Selbstbedienungskassen angebracht. Daneben das Schild: Waren bitte selbstständig einscannen! Kurz dachte ich, dass ich versehentlich beim großen schwedischen Möbelhaus gelandet bin. Dort nehme ich solche Kassen gerne in Anspruch, einmal im Jahr (oder auch ein bisschen häufiger). Aber hier? In dem kleinen Supermarkt, in dem ich mich über jeden kurzen Austausch mit einem menschlichen Wesen freue, nachdem ich einen ganzen Vormittag einsam an meinem Computer verbracht habe?


 

Suche nach Kontakt

Befriedigt registrierte ich, dass sich niemand an den neuen Kassen anstellte. Ausnahmslos alle Kunden reihten sich geduldig in die lange Schlange ein, an dessen Ende der einzig übriggebliebene Kassierer die Waren gemütlich übers Band schob. Als ich nach dem Bezahlen und einer freundlichen Verabschiedung die Theke mit den Backwaren ansteuerte, wartete die nächste Überraschung: Die Bedienung, der ich mein Geld in die Hand drücken wollte, wehrte mit erhobenen Händen ab. „Geben sie das Geld in die Automaten vor ihnen!“ Leicht überfordert versuchte ich meinen 10 Euro-Schein glattzubügeln, bevor ihn mir die Maschine mit einem Fauchen aus der Hand riss und das Wechselgeld in ein Plastikschälchen schleuderte. „Aber ist das nicht schade, dass wir uns jetzt immer weniger in die Augen schauen?“, versuchte ich meinen kleinen Kunden-Aufstand. Die Antwort der Verkäuferin ging im Zischen der Maschinen unter. 

 

Bitte anschauen

„We come into this world, looking for someone looking for us!“, sagt der amerikanische Autor und Psychiater Curt Thompson. Wir Menschen tragen die Sehnsucht in uns, angeschaut und wahrgenommen zu werden. Als Mensch. Als Gegenüber. Und das erleben wir auch und gerade in den kleinen Alltagsbegegnungen. Ich muss an den Freund denken, der eine Zeitlang unter Obdachlosen auf den Straßen von Berlin gelebt hat. Das Schlimmste, so hat er mir erzählt, waren die ganzen Passanten, die den Blickkontakt vermieden haben. Kein Gruß. Kein Lächeln. Als wäre man nicht da.

Überhaupt ist das eine Sache, die laut Soziologen in unserer Gesellschaft ausstirbt: Das Grüßen von fremden Menschen. Gleichzeitig steigt die Anzahl derer, die sich in unserem Land sehr einsam fühlen (nach aktuellen Umfragen ein Viertel der Erwachsenen!). Und wir alle kennen doch das Gefühl von Einsamkeit.

 

Ein Gott voller Liebe

Wie gut ist es da, dass wir einem Gott nachfolgen dürfen, der uns aufmerksam und voller Liebe ansieht. Um das in meinem Alltag bewusster wahrzunehmen, sitze ich abends oft eine Zeit lang auf unserem Sofa. Ich versuche, Blickkontakt mit meinem himmlischen Papa aufzunehmen (mit den Augen meines Herzens). Für eine kleine Zeit schaue ich den Gott an, der mich in Liebe anschaut. Ich habe keine Ahnung, ob sich dadurch groß etwas in mir verändert. Aber eine Sache merke ich: Wenn ich anschließend nach draußen gehe, suche ich den Blickkontakt zu anderen Menschen. Ich lächle Nachbarskinder an, winke alten Menschen in ihren Gärten zu und grüße die Fremden, denen ich beim Spazierengehen begegne. Ein „Hallo“ gegen unsere Einsamkeit! Wir sind doch zusammen hier. Wir dürfen nicht aufhören, einander in die Augen zu schauen! Deshalb werde ich mich in meinem Supermarkt auch weiterhin bei Menschen und nicht bei Maschinen anstellen.


Christina Schöffler ist Autorin aus dem Süden Deutschlands und lebt von Butterbrezeln, guten Büchern und Gottes Gnade.


Noch mehr Alltagsgeschichten von ihr gibt es in ihrem Blog denspatzinderhand.blogspot.com


Dieser Artikel ist zuerst erschienen in JOYCE 1/2025 © SCM Bundes-Verlag“

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